Dienstag, 12. Juni 2012

Living next door - ein schwarzes Püppchen

Als meine Tochter dem Puppenalter entwachsen war und in einer rigerosen Aktion alles "peinliche" aus ihrem Zimmer verbannte (was vielleicht etwas mit dem zeitgleichen Eintreffen des Austauschschülers aus Moksau zu tun hatte), habe ich sie für die Konsequenz und Entschlossenheit bewundert, mit der sie im Wortsinn Platz für ihr neues Leben geschaffen hat. Wir sind in meiner Kindheit so oft umgezogen, dass diese STRG ALT ENTF Aktionen nichts mit meinem Rhythmus zu tun hatten, bis heute vermisse ich meinen roten IKARUS-Bus, der einem meiner "dafür bin ich jetzt zu groß"-Happenings zum Opfer gefallen ist. Vielleicht hat ihn mein Vater heimlich gerettet, aber auch dann ist er verloren, denn dann schmort er in einer Ecke des elterlichen Kellers, wo ihn niemand zutage fördern wird, solange ich mich daran erinnere, dass er für mich die heißgeliebten Überlandfahrten bedeutet, wenn ich großes Glück hatte, in der ersten Reihe mit Blick auf den Fahrer, die Beine hinter dem gesteppten grau-beigen Kunstlederbehang und immer versucht, solange zu brummen, bis der Fahrer schaltet. Oder über dem Radkasten sitzen, heute verstehe ich, warum meine Oma das weniger lustig fand als ich, die ich endlich mal was sehen konnte und schön geschaukelt hat es noch dazu.

Aber das wollte ich gar nicht erzählen, sondern von dem Augenblick, als meine Bewunderung für die Feng-Shui-Aktion meines Kindes abrupt in blankes Entsetzen umschlug - als nämlich Yakari im Fernsehen lief und ich ihre Jana-Puppe (die eigentlich eine Ind-jana-puppe war) für ihre kleine Schwester haben wollte. Die Puppe müsse sie wohl damals, als sie kurz vor Mischas Besuch ... Hätte sie einem Frosch bei lebendigem Leib die Beine ausgerissen, ich hätte kaum entsetzter sein können (na ja, doch schon). Die Puppe, die in direktem Zusammenhang mit dem Welt-Rückseiten-Ranking steht, war HEILIG! Und überhaupt, wie kann man eine Puppe, heilig oder nicht, wegwerfen??? Und ganz nebenbei war sie einfach süß.

Wie hieß es so schön in den deutschen Untertiteln zur Kinoversion von "The Remains of the Day"? Es macht keinen Sinn, über verschüttete Milch zu weinen [sic!] Ich wende mich an den Problemlöser Nr. 1, das Internet. Fehlanzeige. Mit den angebotenen Indianerpuppen kann man doch nicht spielen. UNSERE war komplett aus Stoff und hatte schwarze Haare und sah aus, wie man sich als Bleichgesicht eine Indianerpuppe vorstellt. Ein richtiges Puppenkind, keine Künstlerpuppe, eine ohne Schnickschnack.

Irgendwas haben wir in unserer Familie mit den Puppen, die uns nicht gehören; bei meinem Vater war es eine Negerpuppe (damals hießen die so, auch noch, als ich klein war, und nein, ich werd nicht nächstes Jahr 100; ich hatte eine, weil meine 68-er Eltern das vielleicht unter dem Aspekt von Völkerfreundschaft und venceremos & Co. wichtig fanden, oder einfach nur, weil mein Vater noch eine Rechnung offen hatte.) Als Knirps hatte er es sich gründlich mit seiner zugegeben bisweilen etwas empfindlichen Mutter verdorben, als er fragte, ob er ihre Negerpuppe haben dürfe. Sie: Wenn ich tot bin. Er (voller Erwartung und vermutlich einer Spur zu viel Vorfreude in der Stimme): Wann stirbst du denn?

Vielleicht trage ich mich schon lange mit dem Gedanken, eine dunkle Püppe dann eben selber zu machen, was weiß ich. Neulich auf der Suche nach dem perfekten Abiballkleidstoff für das Kleid, vor dem mir so sehr graut, dass mir jedes alternative Projekt recht ist, egal, wie lange ich es schon vor mir herschiebe, entdecke ich bei Karstadt Hermannplatz braunen Samt. Zwei Sorten. Welchen jetzt? Ich denke über Sehgewohnheiten und Toleranzen nach. Zum Glück leben wir in Multikulti-Berlin. Ich warte ein bißchen und schon kommt eine Fachfrau für dunkle Haut durch die Abteilung. Ich frage sie, ob sie mir mal kurz helfen würde, sie guckt etwas verwundert, aber sie kommt mit. Ich muss so viel ehrlichen Enthusiasmus ausgestrahlt haben, dass sie mir keine klatscht, als ich frage, welchen der beiden Stoffe sie für eine Püppe nehmen würde, wenn sie denn eine dunkle Püppe nähen wollen würde. Dafür, dass der sich später total blöd nähen lässt, kann sie nicht, wir beurteilen hier nur Farbe und Haptik als Puppen- und Hautfachfrauen.


Eine Woche später zieht ein schokobraunes, knopfäugiges, oberschnuffiges Kugelbauchbaby bei uns gegenüber ein. Und bekommt als Willkommensgeschenk - eine Püppe. Eine dunkle. Als Gegengewicht zu den vielen Bleichgesichtern in multikulti-Berlin. Aber psst, nicht meiner Tochter ezählen ;)

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